Solidarität in der Corona-Krise

Das Corona-Virus kennt keine nationalen Grenzen. Aber die Pandemie trifft die Mitgliedstaaten der EU nicht gleich schwer. Aufgrund epidemiologischer Zufälle sowie einer unterschiedlich ausgeprägten Widerstandsfähigkeit der Gesundheitssysteme und Wirtschaftsstrukturen wirkt sich die Krise in jedem Mitgliedstaat anders aus. In einer solchen Situation ist Solidarität gefragt, um Länder zu unterstützen, die wirtschaftlich besonders betroffen sind.

Um eine solche gemeinsame europäische Antwort auf die Pandemie zu geben, können bis zu 750 Milliarden Euro an den Kapitalmärkten aufgenommen werden und insbesondere für einen Wiederaufbaufonds zur Bewältigung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie bereitstehen. Den Mitgliedstaaten stehen davon 390 Milliarden Euro als Zuschüsse und 360 Milliarden Euro als Kredite zur Verfügung. Zum ersten Mal wird die EU Gelder an den Märkten aufnehmen und einen Teil davon als direkte Zuschüsse weiterreichen – ein Plan, der vor allem auf Initiative von Bundesfinanzminister Olaf Scholz umgesetzt wurde. Da die Hilfen mehrheitlich als Zuschüsse erfolgen, wird verhindert, dass nationale Schuldenstände steigen und dringend benötigter finanzieller Handlungsspielraum verloren geht.

Schon zu Beginn der Krise wurden drei erste, aber umfassende Maßnahmen mit einem Gesamtvolumen von bis zu 540 Milliarden Euro beschlossen: Mit einem Garantiefonds der Europäischen Investitionsbank wird kleinen und mittleren Unternehmen geholfen. Das EU-Instrument SURE unterstützt Mitgliedstaaten durch günstige Darlehen bei der Finanzierung von Kurzarbeitsregelungen und anderen Maßnahmen, mit denen Arbeitsplätze gesichert werden. Neue Kreditlinien des Europäischen Stabilitätsmechanismus helfen, Spekulationen auf den Finanzmärkten vorzubeugen, und verhindern, dass Euro-Länder aufgrund von Kosten für die Bekämpfung der Pandemie in den spekulativen Verdacht von Zahlungsschwierigkeiten geraten.

Zukunftsinvestitionen

Die Europäische Union braucht darüber hinaus eine gute Finanzausstattung für mehr Zukunftsinvestitionen in Nachhaltigkeit, Wachstum, Digitalisierung und den sozialen Zusammenhalt. In den Verhandlungen zum künftigen Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) für die Jahre 2021 bis 2027 kam es darauf an, die neuen Herausforderungen zu berücksichtigen, bestehende Schwerpunkte angemessen weiterzufinanzieren und die Haushaltslücke auszugleichen, die durch den Austritt Großbritanniens aus der EU entstanden ist. Im Juli 2020 haben sich die Staats- und Regierungschef:innen neben dem Wiederaufbaufonds auf einen umfassenden Finanzrahmen in Höhe von knapp rund 1,1 Billionen Euro geeinigt.

Diese Mittel werden an europäische Grundwerte gebunden: Die EU-Kommission überwacht in einem besonderen Verfahren, dass beim Einsatz der EU-Haushaltsmittel rechtsstaatliche Standards eingehalten werden. Bei Verstößen kann empfindlich gekürzt werden.

Neben starken Finanzbeiträgen der Mitgliedstaaten ist es uns auch gelungen, neue eigene Finanzquellen für die EU – sogenannte Eigenmittel – zu erschließen. Im ersten Schritt wird seit dem 1. Januar 2021 ein Teil des EU-Haushalts aus einer Abgabe auf nicht recycelbare Verpackungsabfälle finanziert. In einem zweiten Schritt wird die EU-Kommission im Juli 2021 Vorschläge zur Einführung weiterer Eigenmittel vorlegen. Diese können aus dem Handel mit Emissionszertifikaten, einer Digitalabgabe und einem CO2-Grenzausgleichsmechanismus bestehen. Mit diesen Einnahmen sollen insbesondere die Mittel zur Finanzierung des Wiederaufbauprogramms zurückgezahlt werden.

Faire Steuern

Wie andere Bereiche der Wirtschaft soll auch der Finanzsektor zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen. Mit ihrem Vorschlag zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer nach französischem Vorbild haben die beiden Finanzminister Olaf Scholz und Bruno Le Maire neuen Schwung in die Verhandlungen zwischen den zehn Mitgliedstaaten der Verstärkten Zusammenarbeit gebracht. Damit ist der Grundstein für eine Verständigung über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer gelegt.

Um Fortschritte bei der Harmonisierung der Unternehmensteuern auf europäischer Ebene zu erreichen, hat die EU-Kommission einen deutsch-französischen Vorschlag vom Sommer 2018 aufgegriffen. Ziel ist es, in Europa eine einheitliche Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer einzuführen.

Gemeinsam mit Frankreich hat Deutschland außerdem eine Initiative für eine globale Mindestbesteuerung von Konzernen und zur wirksameren Besteuerung großer globaler Digitalunternehmen gestartet. Nachdem die Verhandlungen in der OECD, der G7 und der G20 bereits gute Fortschritte zeigten, ist nun mit dem Beitritt der USA eine Einigung noch in diesem Sommer sehr realistisch. Mit einer Einigung auf Mindeststeuern für große Konzerne wäre dem Wettrennen um den niedrigsten Steuersatz endlich ein Ende gesetzt.

Soziales Europa

2018 hat die EU die Entsenderichtlinie überarbeitet und die Gründung einer Europäischen Arbeitsbehörde beschlossen. Dadurch wird vor allem das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ deutlich gestärkt. So werden die Arbeitnehmer:innen in Deutschland besser vor Lohndumping geschützt, die Arbeitskräfte aus der EU vor Ausbeutung und Missbrauch. Wir haben die EU-Entsenderichtlinie in deutsches Recht umgesetzt. Galten bisher nur Mindestbedingungen, wird Lohndumping damit noch besser ein Riegel vorgeschoben: Mehrere Lohnstufen, zusätzliche Regelungen für Zulagen, Sonderzahlungen oder Sachleistungen – all das wird für alle verbindlich.

Eine faire europäische Sozial- und Beschäftigungspolitik beinhaltet aber noch mehr. So hat die EU-Kommission auch auf Betreiben des sozialdemokratischen Teils der Bundesregierung im Oktober einen Richtlinienvorschlag für angemessene Mindestlöhne in der Europäischen Union vorgelegt. Ziel ist, das Einkommen aller Beschäftigten in der EU so weit anzuheben, dass man in dem Mitgliedstaat, in dem man lebt und arbeitet, anständig davon leben kann. Den Vorschlag der EU-Kommission begrüßen wir ausdrücklich. Als Sozialdemokrat:innen fordern wir schon lange EU-weite Vorgaben für anständige Löhne.

Darüber hinaus hat die Bundesregierung während ihres Vorsitzes im Rat die Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Position zur Stärkung der Jugendgarantie im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit festgelegt. Ebenfalls weitergekommen sind wir, wie im Koalitionsvertrag vereinbart, bei einem Rahmen für nationale Grundsicherungssysteme. Alle in der EU sollen darauf vertrauen können, dass es in allen Mitgliedstaaten ein Sicherheitsnetz für die großen Lebensrisiken gibt. Hierzu hat der Rat im Oktober Schlussfolgerungen zu existenzsichernden Mindestsicherungssystemen in der EU gefasst.

Krisenfesterer Bankensektor

Um Risiken im Bankensektor einzudämmen, hat Finanzminister Olaf Scholz konkrete Fortschritte erreicht, etwa bei den Mindestanforderungen für Verlustpuffer in den Bankbilanzen. Große Banken müssen mindestens Verlustpuffer in Höhe von acht Prozent der Bilanzsumme vorhalten. Mit der Weiterentwicklung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) und der Letztsicherung für die Bankenunion haben wir weitere wichtige Schritte unternommen, dass künftige Bankenrettungen vorrangig von den Anteilseigner:innen sowie vom Bankensektor und nicht mehr von den Steuerzahler:innen finanziert werden müssen.

Beziehungen zu Großbritannien regeln

Wir bedauern, dass das Vereinigte Königreich die Europäische Union verlassen hat. Formal trat das Land am 31. Januar 2020 aus, wurde aber während einer Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2020 de facto wie ein Mitgliedstaat behandelt. Nur in den Organen und Institutionen der EU war es nicht mehr vertreten. Der EU ist es gelungen, in den schwierigen Verhandlungen über die Austrittsbedingungen und über die zukünftigen Beziehungen einheitlich und geschlossen aufzutreten. In Deutschland haben wir gesetzliche und administrative Vorkehrungen getroffen, um die Auswirkungen des Brexits für die Bürger:innen so gering wie möglich zu halten. Dazu gehört auch Rechtssicherheit für Brit:innen, die hier leben.

Mit dem Ende 2020 vereinbarten Handels- und Kooperationsabkommen sind die Grundlagen für die künftige Partnerschaft zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich gelegt worden. Beide Seiten bleiben geografisch, geschichtlich und kulturell eng verbunden. Deshalb wurde eine ambitionierte Partnerschaft insbesondere im Handelsbereich geschaffen, bei der unfairer Wettbewerb zulasten von Umwelt-, Klima-, Sozial- oder Arbeitsstandards ausgeschlossen ist. Die bisher intensive wirtschaftliche Verflechtung wird aber belastet, denn das neue Abkommen verhindert nur einen Teil der Handelshemmnisse mit Großbritannien, weil das Land aus politischen Gründen weder eine Zollunion mit der EU eingehen noch sich an EU-Standards im Bereich der Pflanzen- und Tiergesundheit halten will.

Frieden und Stabilität in Europa

Die Länder des westlichen Balkans gehören fest zu Europa. Sie liegen inmitten der Europäischen Union. Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verbindungen zwischen uns und den Ländern des westlichen Balkans sind eng. Deshalb unterstützen wir eine künftige Mitgliedschaft aller Westbalkanstaaten in der Europäischen Union ausdrücklich, sobald die Beitrittsbedingungen erfüllt werden. Es war höchste Zeit, dass Nordmazedonien und Albanien im März 2020 grünes Licht für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erhielten. Der Zusage gingen intensive Bemühungen auch des Deutschen Bundestages voraus, um die Glaubwürdigkeit der EU in der Region nicht zu verspielen. Auch aus diesem Grund setzen wir uns dafür ein, dass die ersten Beitrittskonferenzen mit Nordmazedonien und Albanien trotz der aktuellen Pandemie so bald wie möglich stattfinden. Mitgliedstaaten dürfen die Gespräche nicht wegen bilateraler Meinungsverschiedenheiten blockieren.